Aktuelles

Trost

„Ach, Herr, lass dein lieb Engelein am letzten End die Seele mein in Abrahams Schoß tragen …“ Der Schlusschoral der Johannespassion von Johann Sebastian Bach ist zu Ende gesungen. Es dauert, bis Applaus einsetzt – so berührt sind die Menschen von der Aufführung in der Stadthalle Anfang April. Ich selbst auch. Es gibt Momente in meinem Leben, da könnte ich auf der Stelle sterben. Weil das Leben erfüllt, geheilt, befriedet ist – nichts fehlt mehr. Das war ein solcher Moment.

Nur drei Menschen haben diese Passionsaufführung gestaltet, haben ein ganzes Orchester ersetzt und das Werk reduziert auf das Wesentliche. Der biblische Stoff aus dem Johannesevangelium kam zu Gehör wie sonst selten. Mit den gesungenen und musizierten Bibelworten verband sich für mich mühelos aktuelles Weltgeschehen. Und Persönliches.

Wenn Pilatus im Verhör Jesus fragt „Was ist Wahrheit?“ – und es ist still, ganz still, bevor es weiter geht, dann wird die Frage laut nach der Wahrheit angesichts des Ukraine-Kriegs, seinen Ursachen, Folgen und dem, was ihn beenden kann. Wenn der Sänger das vielfache „Kreuzige ihn!“ nur flüstert, aber das immerzu und mit Blick ins Publikum, wandernd von links nach rechts, und keine Bankreihe wird ausgelassen, dann kann ich mich nicht entziehen. Dann weiß ich: auch ich bin dieses „Volkes Stimme“. Wenn derselbe Sänger in der Alt-Arie das überlieferte Kreuzeswort des sterbenden Jesus singt: „Es ist vollbracht“, und wenn ich dann überlege: Was ist nun vollbracht?, dann singt er mir ins Herz: „O Trost für die gekränkten Seelen“. Und ich weiß: Trost ist vollbracht. Was die Einen den Anderen an Verletzungen, Kränkungen, Quälereien, Gewalt zufügen, verliert seine Macht. Kein Mensch ist für immer Opfer. Und ich hoffe so sehr: Nicht nur im geschützten Raum der Musik, sondern auch in unserer realen Welt. Wenn dann im Schlusschoral noch gesungen wird: „Alsdann vom Tod erwecke mich, dass meine Augen sehen dich ...“, dann freue ich mich, auch schon vor meinem Tod etwas von diesem Tröster und Versöhner Jesus Christus gesehen zu haben.

Elisabeth Schell,
Pfarrerin in der evangelischen
Kirchengemeinde Kleve
Telefon 02821-453031
Elisabeth.Schell@ekir.de

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