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Plötzlich online

Irene Gierke ist Pfarrerin in den Gemeinden Uedem und Weeze. Seit Präsenz-Gottesdienste nicht mehr stattfinden, geht sie viele neue Wege, mit ihren Gemeinden in Verbindung zu bleiben. Sie sagt: "Mir fehlt die Gemeinde." In einem Interview gibt sie Antworten auf die Frage, welche Erfahrungen sie dabei bislang gemacht hat.

Kirche wurde mit Corona kalt erwischt und ins kalte Wasser geworfen, wie ergeht es Ihnen mit den Online Andachten?

Als klar war, dass unsere Kirchen zumachen müssen und auch keine Gottesdienste stattfinden können, war für mich klar: Ich möchte eine Möglichkeit finden, dass Gemeindeglieder sich sozusagen ihre Kirche nach Hause holen können.

Fernsehgottesdienste gab es ja schon vor Corona und damit, die Möglichkeit, Gottesdienste im Wohnzimmer oder am Küchentisch zu feiern. Ich wollte eine Möglichkeit anbieten, dass Gemeinde vor Ort eine Andacht/einen Gottesdienst aus der eigenen Kirche mitfeiern kann, und so ein Stück weit virtuelle Verbundenheit und Nähe schaffen. Von daher war für mich auch sehr schnell klar, dass die Kinder in unseren Gemeinden nicht vergessen werden dürfen. Unsere „Konfi-3 Kinder“ aus Uedem und Weeze haben gerade noch vor „Corona“ ihre Kirchen erkundet und freuten sich auf ihre Abschlussgottesdienste. Wurde dann nichts daraus, wegen Corona. Verschoben. Aber sie sollten dennoch mitkriegen, dass sie zur Gemeinde gehören. Auch die „KiGoamSana- Kinder“, die „Fantasie Kidz“, die „Experimental-Truppe“, die Schulgottesdienstkinder - sie sollten vorkommen, auch in dem Online Angebot. So dass ich immer zwei Andachten hochgeladen habe: den "Gottesdienst am Küchentisch" und den "Gottesdienst im Kinderzimmer".

Außerdem bin ich jemand, die gerne auch Dinge rund um das Thema "Gottesdienst" ausprobiert. Ohne Corona wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, Online-Gottesdienste zu versuchen. Insofern war das eine Herausforderung, die ich auch gerne angenommen habe.

Lief alles erstaunlich reibungslos oder tauchten Schwierigkeiten auf?

Mein einziger Erfahrungsschatz bestand in selbstgemachten Diashows und Filmchen für private Zwecke mit Hilfe des Movie-Maker. Wie man „youtubed“, was man dafür braucht - keine Ahnung. Da war ich dann doch selbst überrascht, wie einfach das geht - zumindest mit Tipps von meinen Söhnen UND mit unserer Küstervertreterin aus Uedem, die mir gesagt hat: "Ich habe zwar auch keine Ahnung davon, aber ich würde das mit Dir machen." Also, tatsächlich lief es von Anfang an glatt. Natürlich haben sich dann mit unseren Erfahrungen auch die Videos (hoffentlich) weiter entwickelt.

Die Aufnahme selbst, wie erleben Sie diese als Liturgin vor leeren Bänken?

Mir fehlt die Gemeinde. Gottesdienst ist ein gemeinschaftliches Geschehen. Und das sozusagen zeitversetzt zu erleben, ohne wirklich zu wissen, mit wem ich da Gottesdienst feiere, ist etwas, womit ich gedanklich und auch gefühlsmäßig noch lange nicht fertig bin. Mir hilft dann eben sehr, dass meine Kamerafrau dabei ist und den Gottesdienst auch mitfeiert, mit betet und singt. Und es fällt mir schwer, die Kamera zu vergessen, und selbst ein Gefühl dafür zu bekommen, dass ich Gottesdienst feiere. Da braucht der Heilige Geist schon etwas mehr Mühe, um mich "wirklich abzuholen."

Die Gemeinde und damit die Rückkopplung fehlt, was nehmen Sie von der Gemeinde normalerweise wahr? Die Gemeinde ist im Gegensatz zu Fußballfans im Stadion während eines Gottesdienstes ja eher ruhig und im besten Sinn des Wortes „andächtig“...  

Gottesdienst ist mehr als meine Predigt. Gottesdienst ist ein Gemeinschaftsgeschehen und -erlebnis. Ich glaube, ich wiederhole mich gerade. Aber das ist mir halt besonders wichtig. Gemeinschaft, die sich von oben nach unten und von rechts nach links - wie in einem Kreuzzeichen, vollzieht. Mit anderen Menschen stelle ich mich gemeinsam in die Gegenwart Gottes. Da ist in meinen Augen kein Unterschied zwischen Pfarrer*in und Gottesdienstbesucher*in.

Und die Gemeinde singt und spricht Gebete mit, Menschen schauen mich an oder gucken auf die Uhr - es geschieht ganz viel Kommunikation im Gottesdienst auch jenseits von Worten. Für mich ist ein gelungener Gottesdienst, wenn für möglichst alle oder doch viele dieses Gemeinschaftserlebnis spürbar wird.

Bekamen Sie aus der Gemeinde Reaktionen auf die Videos?

Anfangs waren die Rückmeldungen etwas häufiger. Es gibt immer noch wenige Menschen, die mir regelmäßig Rückmeldungen geben. Das sind in der Regel Mitarbeitende oder Presbyter*innen. Mitunter waren die Rückmeldungen sehr berührend, oft ein „Danke schön“ für dieses Angebot. Ein Mensch hat sich mit den Worten bedankt: "So kann ich jetzt wenigstens auch am Gottesdienst teilnehmen.“

Haben Sie das Gefühl, mehr oder andere Menschen mit den Videos angesprochen zu haben? Gab es Kritik?

Ich glaube schon, dass auch andere Menschen die Online-Andachten sich anschauen als die, die normalerweise sonntags in die Kirche gehen. Da diese Gottesdienstbesucher*innen eher älter sind und vielleicht nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen, einer Online-Andacht zu folgen, vermute ich, dass ich diese leider nicht erreiche, oder kaum. Aber ich weiß es nicht. Die Frage danach, wen wir mit welchen Gottesdienstformen erreichen, muss gewiss immer wieder bedacht werden. Und da mag diese Corona-Krise auch neue Anschübe geben. Es gab konstruktive Kritik hinsichtlich der Kameraführung oder Bildgestaltung. Und den einen oder anderen nach unten gerichteten Daumen unter dem Video musste ich auch zur Kenntnis nehmen. Aber auch meine Präsenzgottesdienste gefallen nicht immer allen.

Was sagen Ihnen Gemeindeglieder, die nicht so sehr online unterwegs sind, wie gestaltet sich der Kontakt zu ihnen?

Da geschieht der Kontakt hauptsächlich über das Telefon. Wir haben in der Region West mit dem Format "Gottesdienst am Küchentisch" ein analoges Angebot, von dem ich auch gehört habe, dass es dankend angenommen wurde. Über die Osterfeiertage gab es Andachten und Liturgien, ja auch von der Landeskirche.

Wie bewerten Sie die Videos selbst, ein Notnagel oder ernsthafte Alternative?

Die Andachten, die ich jetzt gemacht habe, sind ganz klar für mich ein Notnagel. Ob es Sinn macht, Gottesdienste, die in der Kirche gefeiert werden, z.B. als Livestream zu übertragen, und so Menschen, die z.B. aus Krankheitsgründen nicht in die Kirche kommen können, eine Möglichkeit der Teilnahme zu bieten, muss in den Presbyterien überlegt werden. Da bedarf es dann aber einer guten Vorbereitung und auch technischen Umsetzung. Das geht nicht einfach so mit gutem Willen und einem Smartphone, glaube ich. Eine gründliche Auswertung der Online-Andachten steht noch aus. Da muss ich mich selbst noch einarbeiten, was ich über die Analyse meines Kanals herauskriegen kann. Da mag es noch Überraschungen geben, in die eine, wie in die andere Richtung.

Können Sie sich vorstellen, auch in der Normalität bei Gelegenheit auf "online" zurückzugreifen?

Hm, ich muss sagen, dass mir das "Basteln" an den Videos durchaus auch Freude macht. Aber ob so ein Online-Angebot in eine Gemeindekonzeption hinein passt oder nicht, entscheide ich ja nicht - zumindest nicht alleine - sondern da sind Presbyterien und theologische Ausschüsse gefragt, da mit zu überlegen. Angesichts der Tatsache, dass wir über "Normalität" in den nächsten Wochen und Monaten sehr nachdenken müssen, passt die Auseinandersetzung mit "Online-Geschichten" sicher hinein. Doch vor der Frage: "Was tun wir denn jetzt?", muss meines Erachtens die Frage nach: "Wer sind wir - als Kirche/als Gemeinde?" stehen.

Der Youtube-Kanal von Pfarrerin Gierke heißt Ausnahme: Andacht.

Vielen Dank!

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