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Was ein Klinikpfarrer so macht

Bedburg-Hau. Der Evangelische Kirchenkreis Kleve entsendet sogenannte Funktionspfarrer*innen in besondere „Funktionen“. Diese versehen ihren Dienst außerhalb einer Kirchengemeinde, zum Beispiel im Berufskolleg, in der JVA, bei der Diakonie oder in der LVR-Klinik Bedburg-Hau. Die Pfarrer Holger Mackensen und Gunnar Krüger sind mit 1,5 Stellen in der LVR-Klinik unterwegs, Krüger mit halber Pfarrstelle auch in der Ev. Kirchengemeinde Moyland. Ungefähr 2.000 Mitarbeitende und 855 Patient*innen in der Klinik bilden ihre „Funktionsgemeinde“.

Herr Mackensen, welchen Themen begegnen Ihnen?

Mein Dienstschwerpunkt liegt in der Forensik mit rund 500 Patient*innen. Hier werden Patient*innen behandelt, die aufgrund einer psychischen oder Sucht bedingten Erkrankung eine Straftat begangen haben. Mir begegnen Themen wie der Umgang mit Schuld und Vergebung, Einsamkeit, Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung, Krankheit, Tod und auch Glaube. Und es gibt die wunderbaren Erfahrungen im erfolgreichen Heilungsprozess.

Sind Sie als evangelischer Seelsorger nur für die evangelischen Patient*innen zuständig?

Mackensen: Nein, mein Kollege und ich sind interreligiös und ökumenisch unterwegs. Das ist allgemeines Verständnis der Krankenhausseelsorge. So begegnen wir evangelischen, katholischen, jüdischen, muslimischen und andersgläubigen Patient*innen. Leider ist die katholische Seelsorge in der Klinik seit mehr als 5 Jahren nicht mehr vertreten. Als ich 2004 mit dem Dienst begann, waren in der Klinikseelsorge 5 Personen, drei evangelische und zwei katholische, tätig.

Werden die Konflikte der Welt auch in die Klink getragen?

Mackensen: Als Beispiel möchte ich den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nennen. Ich lerne, weil ich Perspektiven aus persönlicher Betroffenheit höre. Mich ermutigt, dass trotz der Schwere des Themas ein guter Dialog von Patient*innen unterschiedlichen Glaubens möglich bleibt. Das zeigte sich auch auf unserem Grillfest im Juli. Inklusiv denkend schlug ich vor, auf Schweinefleisch zu verzichten. Daraus entstand die Diskussion, dass Patient*innen diesen Verzicht im Klinikalltag täglich erleben und gehofft haben, dass es auf unserem Grillfest anders sein könnte. Die Lösung bestand darin, auf mehreren Grills unterschiedliche Fleischsorten anzubieten. Wir haben fröhlich miteinander in aller Unterschiedlichkeit gefeiert -  Inklusion im Miteinander der Vielfalt.

Herr Krüger, Sie sind seit 2020 hier in der Klink, wie sind Ihre ersten Erfahrungen?

Ja, ich habe meinen Dienst als Seelsorger in der LVR-Klinik im August 2020 in der allgemeinen Psychiatrie, in der Neurologie und im Kinder- und Jugend Bereich begonnen. Das war mitten in der Coronazeit. Schon die ersten Gespräche die ich führte hatten immer auch psychotherapeutischen Charakter. Ich musste daher von Beginn an für mich meine Rolle klären. Aber was einfach klingt, ist nicht einfach und doch enorm wichtig. Für mich ist klar: Ich bin in dieser Klinik Seelsorger, kein zusätzlicher Therapeut. Und zwar Seelsorger für alle Menschen in der Klinik. Die Menschen hier haben einen ungeheuren Redebedarf. Da gibt es Menschen, die einen Suizidversuch hinter sich haben oder deren bisheriges Leben komplett über ihnen zusammengebrochen ist. In der allgemeinen Psychiatrie und auch in der Neurologie habe ich mit Patienten mit Depressionen, Ängsten oder auch Psychosen zu tun. Aber auch Fragen nach Schuld und Vergebung spielen eine große Rolle. Viele haben Existenzängste und Lebenssorgen. Lebenskrisen bringen viele Menschen auf die Suche nach dem Sinn, nach Gott. Sie fragen sich, was will ich (noch) vom Leben? Manchmal besteht der Bedarf nach Ritualen oder trostspendenden Symbolhandlungen. Da auf dem Klinikgelände leider keine Kirche oder Kapelle zur Verfügung steht, gehe ich mit Patientinnen und Patienten oft in die katholische Kirche St. Markus in Schneppenbaum. Dort entzünden wir eine Kerze oder wir singen, beten oder schweigen gemeinsam.

Sie haben keinen kirchlichen Raum auf dem Gelände?

Krüger: Nein, zurzeit leider nicht, obwohl er uns laut neuem Rahmenvertrag für die kirchliche Seelsorge in forensischen Klinken (Nov. 2023) zusteht. Neben dem Büroraum und dem Pavillon gibt es keinen „Raum der Stille“ oder ähnliches. Die große Kirche auf dem Gelände kann leider schon seit vielen Jahren nicht mehr genutzt werden.

Der Rahmenvertrag mit dem Land NRW brachte auch einige Verbesserungen…

Mackensen: Ja, die rechtlichen Unsicherheiten für meine Arbeit und die Klinik sind geklärt. Die Seelsorger bekommen nun den Schlüssel für die Stationen und können sich dort frei bewegen. Zuvor wurde ich oft wie ein normaler Besucher behandelt. Nun ist ein guter Kontakt sowohl zu den Patient*innen als auch den Mitarbeitenden möglich.

Sie sind neben den Patient*innen auch für die Angestellten zuständig, wie werden Sie von ihnen wahrgenommen?

Krüger: Wie in vielen Bereichen leiden wir auch in der allgemeinen Psychiatrie unter Fachkräftemangel. Es fehlen Therapeutinnen und Therapeuten. Das hat wohl auch mit dem Niederrhein als Standortnachteil zu tun. Das geht dann natürlich auf Kosten von Therapiestunden und erhöht bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Arbeitsdruck. Manchmal sind es einzelne Anlässe im Klinikalltag. Einmal war eine Patientin gestorben und ein Mitarbeitender oder manchmal das ganze Team kann es nur schlecht verarbeiten. Dass die hohe Arbeitsbelastung damit auch zu tun hat, stellt sich erst später heraus.

Welche weiteren Angebote macht die Seelsorge in der Klinik?

Mackensen: So wie in allen Gemeinden auch. Neben den seelsorglichen Gesprächen gibt es Abendmahlgottesdienste auf den Stationen,  Trauer- und Tauffeiern. Der Offene Treff jeden Freitag wird gerne angenommen. Da gibt es kein „Angebot mit Programm“. Die Patient*innen erleben bei uns eine stückweit Normalität, abseits von Therapie und Klinikalltag.

Wie wird die Klinik im Kirchenkreis wahrgenommen?

Mackensen: Aus meiner Sicht leider zu wenig. Ich verstehe unsere Arbeit als Gemeindearbeit. Zum einen bilden wir mit den fast 3.000 Menschen eine besondere Gemeinde, zum anderen gehören wir zur Kirchengemeinde Kleve. Aber beim Prozess der Regionenbildung im Kirchenkreis oder der Planung des Pfarrdienstes der Region ist die Klinikseelsorge nicht beteiligt, als gäbe es uns gar nicht. Das führt zwangsläufig zur geringerer Wahrnehmung und Engführung der Perspektive hin zu den Kirchengemeinden. Ich gehe davon aus, dass mit meinem Ruhestand in 2025 erneut der Pfarrdienst um eine halbe Stelle gekürzt werden wird. Das macht mich nicht nur traurig, sondern auch wütend angesichts der Bedeutung unserer Arbeit, letztlich auch wegen der Außenwirkung unserer Kirche auf Fernstehende, mit denen wir hauptsächlich arbeiten.

Was macht ihren Funktions-Dienst in der Klinik besonders?

Mackensen: Wir treffen hier wie alle Funktionspfarrer*innen auf viele Menschen, die keine Berührung mit der Kirche haben. Für sie machen wir Kirche erfahrbar. In der Seelsorge begegnen wir uns als Menschen und dem lebendigen Gott. Kirche wird sehr konkret erlebt, Vorurteile abgebaut. Wir sind Kirche in der Arbeitswelt, dort wo Menschen leben und arbeiten, und Kirche am Krankenbett.

Vielen Dank!

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